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Wound by Marina Rüdiger, 2022

Wound is a work composed of abnormally large handmade tassels – hanging bundles of cords whose form is reminiscent of paintbrushes or the tails of lions and donkeys.

It used to be thought that tassels were first mentioned in the Book of Numbers. However, a careful analysis of the iceman Ötzi, who died some 5,300 years ago, found that he may also have worn a small decorative item resembling a tassel. These days, tassels are used as ornaments in a wide range of cultural contexts. We will probably never know exactly why tassels became so widespread over the millennia or where they originated. What we do know is that they can still be seen everywhere, quietly embellishing our everyday lives without especially standing out. The various connotations of these strange little objects are fascinating, because they do more than merely adorn the furniture and curtains of traditionally decorated parlours.

Tassels were also used as a military status symbol for many centuries. The material and workmanship of the tassel typically indicated the rank and seniority of the wearer. However, tassels have not been worn in combat for some time now. Instead, they merely serve as a reminder of a time when enemies met on horseback or on foot, and the convenient tassels attached to their swords, sabres or bayonets were also a means of protection. For a long time, these tassels were made of thin metal threads. Nowadays, gold thread tends to be used to decorate imposing historical weaponry and uniforms before they are shown off at military parades and balls or in museum display cases.

No less imposing at first glance are the oversized tassels made of black leather straps which Rasmus Søndergaard Johannsen recreated from sex toys used in the BDSM scene. They also serve more of a decorative function rather than being used for punishment. At the same time, just like the golden military tassels, their presence plays with concepts of dominance and silent provocation. However, the initial impression of a direct relationship between the two scenes is deceptive. In a military context, tassels indicate rank and seniority, and hence make the relationship between the wearer and the observer immediately obvious without the need for words. In the BDSM scene, however, the wordless exercise of power is very much not the goal. Indeed, over many years, the subculture has developed its own language of codes that can only be understood by the initiated.

Rasmus Søndergaard Johannsen’s works always engage intensively with the materials and techniques involved in their creation. Above all, Wound demonstrates how a specific focus on materials and their messages can shed light on a small and seemingly everyday accessory – and the rarely considered role of an item that creates a cosy atmosphere when used as a decoration, but that can also serve as a means of exercising power and a plaything for negotiating that power.

Marina Rüdiger

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Wound von Marina Rüdiger, 2022

Die Arbeit Wound besteht aus handgefertigten, überdimensionalen Quasten. Ihr wohlklingender Name bezeichnet einen Zierrat, ein hängenden Bündel von Kordeln, das mit seiner Fassung an Pinsel oder die Schwanzenden von Löwen und Eseln erinnern.

Im 4. Buch Mose dachte man zunächst die erste Erwähnung von Quasten gefunden zu haben. Bei der genauen Analyse des vor 5300 Jahren gestorbenen Ötsis fiel jedoch auf, dass auch er eventuell schon dieses kleine Stück Zierrat mit sich trug. Heute findet man sie weltweit als Verzierungen in unterschiedlichsten kulturellen Kontexten. Warum sich Quasten über die Jahrtausende hinweg so weit verbreitet haben und woher sie tatsächlich kommen wird wahrscheinlich nie gänzlich geklärt werden. Sicher ist, dass sie auch heute noch überall zu finden sind und oft unbemerkt unseren Alltag säumen, ohne besonders ins Auge zu fallen. Spannend sind die unterschiedlichen Konnotationen, die diesen merkwürdigen kleinen Objekten innewohnen. Denn sie verzieren nicht nur Möbel und Gardinen traditionell eingerichteter, gemütlicher „guter Stuben“.  

Auch kennt man Quasten seit Jahrhunderten aus dem repräsentativen militärischen Kontext. Material und Verarbeitung ließen hier lange auf den Dienstgrad und Rang des Trägers schließen.  Schon lange werden Quasten jedoch nicht mehr ins Gefecht getragen. Heute sind es nur noch Reminiszenzen an eine Zeit, in der man seinem Feind zu Roß oder zu Fuß Auge in Auge gegenüberstand und das griffige Bändel an Säbel, Degen oder Bajonett auch von sicherheitsrelevanter Bedeutung war. Lange Zeit bestanden die Quasten hier aus dünnen Metallfäden. Heute wird meist Goldfaden verwendet um respekteinflößende historische Waffen und Uniformen für ihren Auftritt auf Militärparaden- und Bällen oder in den Vitrinen der Museen zu verzieren.

Auf den ersten Blick respekteinflößend sind auch die überdimensionalen Quasten aus schwarzen Lederbändern, die Rasmus Søndergaard Johannsen Sexspielzeug aus der BDSM Szene nachempfunden hat. Auch sie dienen eher der Zierde als dem züchtigenden Einsatz als Peitsche. Und doch spielt ihre Anwesenheit, wie ebenjene der goldenen Militärquasten, mit der Möglichkeit der Dominanz und der stillen Provokation. Doch trügt der erste Eindruck eines direkten Verwandtschaftsverhältnisses zwischen beiden Szenen. Denn die Quasten, die im militärischen Kontext ohne Worte Rang und Grad verrieten und so das Verhältnis vom Quastenträger zu seinem Gegenüber auf den ersten Blick klarstellten werden in der BDSM Szene keinesfalls für wortlose Machtausübung genutzt. Die Subkultur hat über lange Zeit eine eigene Sprache mit Codes entwickelt, die nur für Eingeweihte lesbar sind.

Rasmus Søndergaard Johannsens Arbeiten prägt stets die intensive Auseinandersetzung mit den Materialien aus denen sie bestehen und den Handgriffen, die zu ihrer Fertigstellung von Nöten sind. Was in der Arbeit Wound besonders sichtbar wird ist, dass die besondere Konzentration auf die Materialien und ihre Botschaften ein kleines, scheinbar alltägliches, Accessoire in den Mittelpunkt rückt. Die wenig beachtete Rolle eines Objektes, dass als Dekorationsgegenstand eine heimelige Atmosphäre verbreitet, Mittel der Machtausübung und Spielzeug zum Verhandeln ebendieser dient.

- Marina Rüdiger